Medellín ist die Hauptstadt des Departamento Antioquia. Mit mehr als 2,4 Millionen Einwohnern ist sie nach der Hauptstadt Bogotá die zweitgrößte Stadt Kolumbiens. In der Metropolregion wohnen an die 3,7 Millionen Einwohner. Früher war die Stadt vor allem für ihr Drogenkartell und die hohe Kriminalitätsrate bekannt. Das gefährlichste Viertel war das Elendsviertel Comuna 13. Hier stritten sich jahrelang die FARC-Guerilla, Drogenhändler und Paramilitärs um die Vorherrschaft. Schießereien und tödliche Auseinandersetzungen waren an der Tagesordnung. Heute befindet sich die Stadt mitsamt der Comuna 13 im Wandel und entwickelt sich rasant zu einer Vorzeigestadt in Lateinamerika. 2012 wurde sie vom Wall Street Journal zur innovativsten Stadt der Welt ernannt.
Die Comuna 13 lässt sich auf eigene Faust erkunden, unser Guide der Free Walking Tour hat uns jedoch davon abgeraten. Zum einen gab es in letzter Zeit einige „Security Issues“, was auch immer das heißen mag, 🙈 zum anderen erhält man auf diese Weise kein Hintergrundwissen zur bewegenden Geschichte des Viertels.
Ich hatte daher eine geführte Graffiti Tour über Toucan Café gebucht, eine der besten Sprachschulen in Medellín, die neben Touren-Anbieter zusätzlich Betreiber eines tollen Cafés sind. Begleitet wird der Guide durch ein Mitglied der Casa Kolacho, einer Organisation, die ohne staatliche Unterstützung arbeitet und Gemeinschaftsprojekte für Jugendliche in der Comuna 13 anbietet. Im Toucan Café habe ich am Morgen gefrühstückt und zufällig Julia und Jamal der Exotic Fruit Tour wieder getroffen, die die Tour auch geplant hatten. Als wir um 9:30 Uhr in Medellín loszogen, haben wir auf dem Weg zur Comuna bereits phantastische Street Art in den Barrios rund um Poblado entdecken können. Echt beeindruckend, was hier an die Wände gezaubert wird.Die Comuna 13 ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Stadt Medellín. An überwiegend steilen Hängen leben auf einer Fläche von 7 km2 ca. 170.000 Menschen in zum größten Teil ärmlichen Verhältnissen. Die starke Militärpräsenz in dem Viertel ist nach wie vor unübersehbar. Als wir dort ankamen, stand an jeder Ecke ein Soldat mit Maschinengewehr. Netter Anblick! 🙈Die Comuna 13 hat eine bewegende Geschichte, die uns von dem Guide ausführlich erzählt wurde. In den 80er Jahren war sie Schauplatz von blutigen und tödlichen Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Drogenkartellen. Nach dem Tod von Escobar und der Zerschlagung des Kartells kämpften die FARC-Guerilla, paramilitärische Gruppen und die kolumbianische Armee um die Vorherrschaft. Im Jahr 2002 beschloss der damalige Präsident, Álvaro Uribe Vélez mit der Armee und den Paramilitärs gemeinsam gegen die Guerilla vorzugehen. Am 16. Oktober ließ er unter der grössten städtischen Militäroperation in der Geschichte Kolumbiens (Operación Orión) die Comuna 13 mit Hubschraubern und gepanzerten Fahrzeugen angreifen. Die Soldaten schossen auf alles, was sich bewegte. Die Rebellen waren längst geflohen. Um ihr Handeln zu rechtfertigen und einen Sieg vorweisen zu können, wurden Zivilisten erschossen und als Rebellen bezeichnet. Wie viele Menschen während der Operation und danach getötet wurden, weiß keiner so genau. Aktivisten und Bewohner, die verdächtigt wurden, mit der Guerilla zusammenzuarbeiten, wurden verschleppt. Offiziell spricht man von 300 Verschwundenen, die tatsächliche Zahl liegt wohl weitaus höher. Die Verantwortlichen wurden nie zur Rechenschaft gezogen.
Bis vor wenigen Jahren war die Comuna 13 ein absoluter No-Go-Bereich, nicht nur für Touristen. Heute wirkt das Leben dort friedlich, fröhlich und bunt. Man kann sich schwer vorstellen, dass man sich dort früher kaum fortbewegen konnte und die Bewohner jeden Tag um ihr Leben fürchten mussten.
Heute haben die Leute keine Angst mehr, ihre Häuser zu verlassen. Das Leben spielt sich auf der Straße ab, die Kinder spielen Fußball oder radeln durch die Touristenströme. Die vielen Graffiti, die die Wände zieren erzählen von der Vergangenheit und sind Ausdruck des Protests der Bewohner gegen die dominierende Gewalt. Viele Kunstwerke fungieren als Mahnmale, wie dieses Graffiti auf dem Spielplatz, das an den gewaltsamen Tod eines kleinen Kindes erinnert.Trotz all der Schrecken, die die Menschen erlebt haben, versprühen die Bewohner der Comuna 13 sehr viel Lebensfreude. Man hatte den Eindruck, sie freuen sich über die Touristen, lachen mit ihnen und verkaufen ihre Empanadas. Unser Guide machte uns immer wieder darauf aufmerksam, dass die Menschen nach vorne blicken. Sie halten zusammen, feiern und genießen auch die kleinen Momente des Lebens. Aus diesem Grund laufen sie auch die Treppen in der Nähe des Spielplatzes nicht um den steilen Hang hinunter zu kommen sondern rutschen. Wir haben es ihnen natürlich nachgemacht. 🤣Es gibt viele Projekte und Workshops für Jugendliche, die von der Casa Kolacho angeboten werden. Anstatt sich Gangs anzuschließen, lernen sie Break-Dance, Graffiti und Hip-Hop.Die Casa Kolacho setzt sich auch dafür ein, dass den Kindern Zugang zu Bildung ermöglicht wird.Die Street Art in den Straßen der Comuna 13 ist absolut sehenswert. Medellín mitsamt der Comuna 13 ist im Wandel. Mit großen Infrastrukturprojekten hat sich die Metropole zu einer der fortschrittlichsten und lebenswertesten Städte Lateinamerikas entwickelt. Es wurde massiv in Bibliotheken, Museen und öffentliche Plätze investiert. Schulen, Kindergärten und Sportplätze wurden in den ärmeren Vierteln gebaut. Medellín hat als einzige Stadt in Kolumbien eine Metro und eine Hochseilbahn. Die Comuna 13 erhielt die „escaleras eléctricas“, eine überdachte 384 Meter lange Freiluft Rolltreppe, die sich in orange im zickzack fast 30 Stockwerke hoch die steilen Hänge hinauf zieht und das Viertel mit dem Rest der Stadt verbindet. Die Rolltreppe hat das Gefühl des ganzen Barrios verändert. Es zeigt ihnen, dass auch die Menschen in den ärmeren Vierteln etwas wert sind und eine Zukunft haben. In Medellín geht es heute viel um Gemeinsinn und um Teilhabe der ärmeren Bevölkerung. Die Elendsviertel werden nicht mehr sich selbst und dem Teufelskreis der Gewalt überlassen wie es beispielsweise in Brasilien in den Favelas der Fall ist. In Medellín wird den lange Vernachlässigten die Hand gereicht und das scheint Wirkung zu zeigen.
Aber wie bei jeder großen Veränderung wird eine vollständige Transformation des Viertels noch Jahre dauern. Gewalt gibt es in der Comuna 13 immer noch. Sie ist nur nicht mehr so offensichtlich. Das Viertel wird weiterhin von Paramilitärs und Drogenhändlern kontrolliert. Sie operieren jedoch im Stillen und tragen die Auseinandersetzungen nicht mehr auf der Straße aus. Die Bewohner der Comuna 13 müssen nicht mehr jeden Tag in Angst leben. Für sie ist mittlerweile die Hoffnung das bestimmende Lebensgefühl und nicht mehr die Furcht.
Zum Schluss der Tour konnten wir uns vor dem Haus der Casa Kolacho auf einer großen Wand mit einem eigenen Graffiti verewigen. Unser Guide sprühte zum Schluss das Wort „Amor“ an die Wand. „Darum dreht sich alles im Leben. Hier bei uns und auch bei euch Zuhause.“ Recht hat er! 😊